Kein Hund ist wie der andere, jeder hat seine ganz eigene Geschichte.
Bei einigen Hunden beginnt diese Geschichte mit einigen großen, unbewussten Fragezeichen:
Es kommt vor, dass Hunde-Mamas nicht genug Milch für alle Welpen haben. Manchmal sind auch die Würfe schlicht zu groß. Hündinnen haben normalerweise 8 Zitzen (Rhodesian Ridgebacks 10), so dass 8 Welpen gleichzeitig trinken könnten.
Sind mehr als acht Welpen geboren worden, dann kann es sein, dass die schwächeren Welpen eventuell zu wenig bekommen oder das Warten und sich „durchkämpfen“ müssen Spuren in der Psyche hinterlässt.
Diese frühen Erfahrungen eines Defizits können von einem Welpen nicht rational relativiert werden. Ein Welpe kann sich nicht sagen: „Morgen wird es besser“. Der Welpe spürt den Mangel, hat Hunger, leidet Not.
Diese ersten Erfahrungen werden gespeichert, es entstehen unbewusste Handlungs-Motivationen, die auch der erwachsene Hund nicht einfach abschalten kann.
Auch nicht, wenn zu einem späteren Zeitpunkt genug Futter da ist, keine konkurrierenden Geschwister lauern und der Hund nicht mehr kämpfen muss.
Das Gefühl der Not bleibt mit Futter und Fressen verbunden und wir erleben als Hundehalter immer wieder, wie unglaublich wichtig Futter für einige Hund ist. Diese Hunde vermitteln uns, dass es nie genug ist. Einige können in angespannten Situationen nicht fressen, weil ihnen die Sorge den Hals „zuschnürt“.
Das unreflektierte „Alles in sich hineinstopfen“ hat meist mit den frühesten Defizit Erfahrungen zu tun und ist kompensatorisches Verhalten.
Diese Hunde haben häufig auch ein Problem einen Kauartikel nicht ganz aufzufressen, geraten in Stress, wenn etwas übrig zu bleiben droht und legen Verstecke für Vorräte an. Sie vergraben den Kauartikel oder leckere Fundstücke wie tote Mäuse, unter ihren Decken oder im Garten, um zu verhindern, dass das wertvolle Gut gestohlen wird.
Es kann viele Monate dauern, bis das Vertrauen in die (Fütterungs-) Person so gewachsen ist, dass sie sich nicht mehr bedroht fühlen.
Viele Hunde haben durch früheste Erfahrungen des Mangels kompensatorisches Verhalten oder bleibende Sorgen entwickelt.
Das Fressen in der Anwesenheit anderer Hunde, in der Öffentlichkeit ist für diese Hunde mit sehr viel Anspannung verbunden.
Für diese Hunde ist der BeuteBeutel mit Futter eine wichtige Futter-Ressource, die sie verteidigen würden oder um die sie sich große Sorgen machen, wenn andere Hunde oder Menschen in der Nähe sind.
Bringen wir als Hundehalter diese Beute in Gefahr, gehen wir achtlos damit um, geben wir den BeuteBeutel womöglich im Rahmen der Hundeschulstunde aus der Hand, dann muss unser Hund das Gefühl haben, dass wir achtlos mit ihm und seinen Bedürfnissen umgehen.
Aus der guten Idee, sich mit dem BeuteBeutel in einer Gruppensituation zu beschäftigen, um die Toleranz gegenüber anderen Hunden und Menschen zu fördern, wird so ein angstvoller, angespannter, womöglich wöchentlich wiederkehrender Termin, der für den Hund eher das Gegenteil bewirkt.
Hier kann es helfen, den Inhalt des ersten erbeuteten BeuteBeutels, in respektvollem Abstand zu den anderen, fressen zu lassen. Nicht als „Belohnung“, weil der Hund „gut mitmacht“, sondern um ihm seine Sorgen zu nehmen.
Die „erste (Ersatz-) Maus“, die er fressen darf vermittelt: „Mach dir keine Sorgen. Wir schaffen das!“.
Es kann zu Beginn auch sinnvoll sein, das Futter gar nicht erst erbeuten zu lassen, sondern bei sich zu behalten und erst einmal Spielzeug anstelle des BeuteBeutels zu verwenden. Allerdings wird sich nicht jeder erwachsene Hund mit Spielzeugen beschäftigen wollen, andere sind begeistert und zeigen sich förmlich erleichtert.
Eine weitere Möglichkeit ist, dass der Mensch den BeuteBeutel in „schwierigen Situationen“ selbst erbeutet, damit der Hund erfahren kann, dass er sich nicht um das „Retten der Ressource“ kümmern muss.
Hierzu ist allerdings gewachsenes Vertrauen von Hund zu Mensch nötig, da der Hund seinem Menschen zutrauen muss die Futterressource sichern zu können.
Der Beginn des “ für den Hund apportieren“ sollte allerdings in einer weniger angespannten Situation aufgebaut werden, damit nicht zu der Sorge um das Futter noch die Sorge um den geliebten Menschen kommt.
Im Gegensatz dazu steht die erfüllende Ersatzjagd, die sinnhafte Beschäftigung mit dem BeuteBeutel, die unserem Hund ein hohes Maß an Selbstwirksamkeit vermittelt.
Im Team zu zweit, die freie Wiese, der gemeinsame Jagdausflug, Suchen, Anpirschen, Hetzangeln, BeuteBeutel greifen und Fressen ist Ersatzjagd.
Dabei jagen wir unser (Ersatz-) Kaninchen nicht Ohr für Ohr, sondern wir „erlegen“ alle BeuteBeutel nacheinander und erst wenn wir alle gesucht, gehetzt und gefunden haben wird gegessen.
Selbstverständlich jagen wir nicht nur einen BeuteBeutel, es sei denn wir betreiben „Großwildjagd“ und der BeuteBeutel ist mehrere Kilo schwer, denn das wäre Unterforderung und langweilig.
Und erst, wenn die Ersatzjagd abgeschlossen ist, unser Hund wieder zu Atem gekommen ist, wird in Ruhe gefressen. Dabei ist es schön, wenn auch wir „Mitjäger“ etwas zu essen abbekommen.
Und auch in der Hundeschule brauchen Hunde nur dann die „erste Maus“, wenn sie durch die Situation in der Gruppe in Sorge um ihre Futter-Ressource sind.
Wenn das Vertrauen in uns als „Ressourcen-Verwalter*innen“ gewachsen ist, eine Gewöhnung an die Gruppensituation stattgefunden hat oder das Training in Einzeldurchgängen stattfindet, ist keine „erste Maus“ mehr vonnöten!
Karin Jansen
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